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Weil jeder einzigartig ist

Seit drei Jahren besucht Nina Leopold das Kinderhaus „Neige“, wo sie in einer gemischten Gruppe betreut wird. Das gemeinsame Essen ist ein tägliches Ritual. Nina, die mit einer Sonde ernährt wird, sitzt mit am Tisch (von rechts): Kinderkrankenschwester Inga Köhl, Nina, Anastasia, Sandro und Yekt

Im integrativen Kinderhaus „Neige“ lernen Kinder mit und ohne Behinderung voneinander

Seit drei Jahren besucht die fünfjährige Nina das Kinderhaus „Neige“. Ein Ort, an dem behinderte und nicht behinderte Buben und Mädchen zusammen spielen. Nina fühlt sich in der Igelgruppe sehr wohl.

Vor allem für Ninas Mutter Tanja Leopold war es vor drei Jahren ein schwerer Schritt, ihr schwerstbehindertes Kind in fremde Hände zu geben. Heute ist sie dankbar über die Entlastung, denn die Pflege ihrer kleinen Tochter brachte sie an den Rand der Erschöpfung. Jetzt freut sich die 40-Jährige mit ihrem Ehemann Michael darüber, dass sich ihre Tochter wohlfühlt unter den anderen Kindern.

So wie den Leopolds geht es den meisten Eltern, die ihr Kind im Kinderhaus „Neige“ auf dem Heimlichenwasen in Balingen in besten Händen wissen. In der Einrichtung der Behindertenförderung Zollernalb werden behinderte Kinder und Regelkinder gemeinsam betreut. Das Einzugsgebiet reicht von Engstlatt bis Schömberg. In Balingen ist „Neige“ die einzige integrative Einrichtung für Krippen- und Kleinkinder. Im Landkreis gibt es weitere Kitas in Hechingen, Haigerloch-Stetten, Albstadt, Meßstetten und Winterlingen.

Das Kinderhaus „Neige“ hat eine wechselvolle Geschichte. Vor 21 Jahren als Sprachheilkindergarten gegründet, wurde daraus 2004 ein Schulkindergarten, den ausschließlich Kinder mit körperlicher und geistiger Behinderung besuchten. Vor vier Jahren wurden auch Regelkinder in der Kita aufgenommen und die „Neige“ wurde eine integrative Einrichtung mit altersgemischten Gruppen. Im Sommer 2013 sind zwei städtische Gruppen (Kleinkinder und Ganztagesbetreuung) dazugekommen und erst vor wenigen Tagen wurde ein Neubau („Neige 2“) bezogen.

Derzeit sind an die 60 Kinder, davon die Hälfte mit geistiger, körperlicher und sprachlicher Behinderung, auf die beiden Häuser „Neige 1“ und „Neige 2“ verteilt. In der Ganztagesgruppe mit einer wöchentlichen Öffnungszeit von 50 Stunden sind es 20 Plätze, in der Kindergruppe zehn. Seit zehn Jahren leitet Ursel Class die Einrichtung mit einem Team von zwölf Voll- und Teilzeiterzieherinnen, acht Freiwilligen im Sozialen Jahr und einem interdisziplinären Kreis von fünf Sonderpädagogen, die tage- oder stundenweise kommen, sowie drei Therapeuten.

Ursel Class liebt ihren Beruf, der sie und ihre Kollegen täglich vor neue Herausforderungen stellt. Gemeinsam wollen sie dem hohen Anspruch gerecht werden, jedes Kind, ob mit oder ohne Behinderung, individuell zu fördern. „Weil jedes einzigartig ist“, sagt die Erzieherin, die aus ihrem Berufsalltag weiß, dass Kinder viel unbefangener als Erwachsene mit Behinderung und Unvollkommenheit umgehen. „Sie sehen das Kind, nicht das Handicap und gehen vollkommen natürlich damit um“, sagt sie. Wichtig sei, dass offen darüber geredet wird und Fragen nicht unbeantwortet bleiben. Auch sie macht keine Unterschiede zwischen ihren Zöglingen: „Kind ist Kind. Wir freuen uns über jeden kleinen Fortschritt.“ Natürlich bei den behinderten Buben und Mädchen noch viel mehr als bei den Regelkindern, gibt sie unumwunden zu.

Im Kinderhaus „Neige“ sind immer kleine Wünsche offen, obwohl – und darauf weist Class ausdrücklich hin – die Ausstattung sehr gut und der Träger sehr großzügig ist. Die Nina-Leopold-Stiftung hat die Vogelnestschaukel und Spezialbuggys gestiftet, „die sind immer Mangelware“, sagt die Kindergartenleiterin. Sie findet es wichtig, dass dank unserer Aktion integrative Einrichtungen ins Blickfeld der Öffentlichkeit rücken.

geschrieben von Rosalinde Conzelmann – ZOLLERN-ALB-KURIER | 15.11.2014